Ladakh

Mountainbiken auf den höchsten Pässen der Welt

Wie ist es eigentlich auf einer Höhe von über fünfeinhalbtausend Metern Rad zu fahren? Als ich die Antwort auf diese Frage suche, kombiniere ich meine südamerikanischen Bergerfahrungen in ähnlicher Höhe mit schweisstreibenden Anstiegen aus zahlreichen Alpenüberquerungen. Als Resultat  breitet sich ein etwas mulmiges Gefühl in meiner Magengegend aus. Die Spannung auf den Khardung La steigt! Er ist mit seinen 5602 m Höhe der höchste befahrbare Gebirgspass der Welt.

Von der Transalp direkt nach Indien

Nach einem mehr als zwölfstündigen Flug landen wir mitten in der Nacht in Delhi. Es ist schlimmer, als ich mir erwartet habe. Die wenigen Meter vom Flugzeug in das klimatisierte Flughafengebäude treiben mir den Schweiß aus den Poren. Die hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit lassen bei mir eher Erinnerungen an heimische Saunatage, als Gedanken an vergnügliche Biketage aufkommen.

Sorgen mache ich mir auch um jene Kartonschachtel, in der sich mein Lieblingssportgerät befindet,  mit dem ich Tage zuvor eine landschaftlich beeindruckende Transalp über den Krimmler Tauernpass erleben durfte.

 Diese Sorgen verstärken sich, als ein indischer Militärbeamter den Wert des Inhalts meiner Bikeschachtel wissen will. Stolz sage ich „mehrere tausend Dollar!“. Da will er es genau wissen und lässt uns erst wieder in Ruhe, als ihm meine Kollegen glaubhaft versichern, dass es doch nur einige wenige Dollar sein können.

Ladakh, Leh und die klare Bergluft

Nach einer langen, schlaflosen Nacht am Flughafen starten wir endlich mit einer lokalen Fluglinie Richtung Norden. Wir überqueren die südlichen Ausläufer des Himalaja, bevor wir endlich in Leh, der Hauptstadt der indischen Region Ladakh, landen.

 Der Kontrast zu Delhi könnte stärker nicht sein, Sonnenschein und klare Luft erwarten uns auf über 3500 m. Diese Höhe spüre ich dann auch gleich beim Versuch,  in den dritten Stock unseres Hotels zu laufen.

Einige ruhige Akklimatisationstage folgen. Wir besichtigen den verfallenen Königspalast, erkunden die Umgebung und den lokalen Markt mit den Ständen der Kashmiris, Ladakhis und Tibetern. Den Ladakhis wird nachgesagt, sie seien aufgrund ihrer Zurückhaltung schlechte Geschäftsleute. Zuvorkommend sind sie auf alle Fälle, immer ein Lächeln auf den Lippen.

Buddhistische Klosterkultur

Die Tage vor unserer großen Biketour ins ursprüngliche Ladakh nutzen wir zum Einradeln zu nahe gelegenen buddhistischen Klöstern.

 Spituk liegt exponiert auf einem Hügel und lässt mich eintauchen in die Welt dunkler Gebetsräume und furchterregender Schutzgottheiten. Auf den Boden der Realität holt mich dann der Blick ins umgebende Tal, Militäranlagen prägen das Landschaftsbild. Erst jetzt wir mir die Nähe zur Grenze nach Kaschmir und zum chinesisch besetzten Tibet so richtig bewusst.

Nahe der tibetischen Grenze

Morgens um sechs Uhr geht's endlich los! Die noch nicht optimale Akklimatisation werde ich wohl unterwegs nachholen, um auf den höchsten Pässen der Welt das Rad nicht schieben zu müssen. Vorbei an hupenden und rauchenden Lastwagen rollen wir durch den Nachbarort Choklamsar. Zwei Wochen später ist der ganze Ort Opfer einer Schlammlawine geworden, bei diesem Gedanken läuft es mir im Nachhinein noch immer kalt über den Rücken...

 Bald sind wir auf einer ruhigen Nebenstraße angelangt und können die Landschaft und stille Atmosphäre erst richtig genießen. Abwechselnd begleiten uns schneebedeckte 6000er und staunende Schulkinder, bunte Mountainbikes scheinen sie noch nicht oft gesehen zu haben. Im weit oben auf einem Hügel erbauten Kloster Hemis erleben wir ein Ritual, bei dem die Mönche tausendmal einen Schrein umrunden, begleitet vom Mantra "Om Mani Padme Hum" und den typischen Klängen von Trommeln und Hörnern. In den Pausen gönnen sie sich Buttertee und Kekse.

Nachdem wir nun einige Tage das Industal flussaufwärts geradelt sind, biegen wir nach Süden ab. Bevor wir aber die Idyllische Ruhe der Nomaden am Tsho-Moriri-See genießen können, wartet mit dem Nusgur La der erste hohe Pass auf uns. Serpentine um Serpentine zieht sich die flache Strasse auf den 4840m hohen Pass hoch. Abwärts gehts dann schneller und so kommen wir über weite Hochebenen nach Korzok am Tsho-Moriri-See auf über 4500m Höhe.

 Noch nie habe ich einen so abgelegenen Ort gesehen, trotzdem gibt es auch hier einen kleinen Markt, ein Kloster und einen Militärflugplatz. Die Ankunft des täglichen Linienbusses  aus Leh scheint die Attraktion des Tages zu sein, so verwandelt sich die Ruhe für einige Minuten in ein buntes Treiben aus Mönchen, Bauern und Rucksacktouristen.

Die weiter südlich liegende Grenze zu Tibet ist für Touristen gesperrt. Wir fahren wieder Richtung Norden, vorbei an schwefeligen Quellen, einer verfallenen Fabrik für Zündhölzer und schlagen unser Zelt diesmal mitten in einer grünen Wiese auf. Eine willkommene Abwechslung zu den trockenen und staubigen Zeltplätzen der Tage zuvor.

Mit einer freundlichen Geste bittet uns eine Nomadenfamilie in ihr gemütliches Zelt. Schwer vorstellbar, dass hier sieben Personen Platz zum Essen, Schlafen und Wohnen finden, mit westlich gewohntem Luxus ist das nicht vergleichbar.

Biken über 5000m Höhe

Weit, sehr weit hinauf windet sich sich die Strasse auf den „Tanglang La“, einen Passübergang auf 5320 m Höhe. Kaum vorstellbar, dass wir in einigen Stunden dort oben ankommen werden. Eine scheinbar unendlich lange Distanz und tausend Höhenmeter trennen uns noch von unserem Ziel . Dieser Pass gibt uns auch die Taktik für die nächsten Tage vor: mit langsamem, gleichmässigem Tempo und regelmässigen kurzen Trinkpausen lassen sich die Höhenmeter am Besten überwinden.

Plötzlich setzt Graupelschauer ein und es wird sofort empfindlich kühl. Nahe der Passhöhe, auf 5320 m, sind indische Arbeiter ständig damit beschäftigt witterungsbedingte Straßenschäden zu reparieren. 

Bei der Abfahrt heisst es dann doppelt die Augen und die Konzentration auf der durch Frostschäden und Schneeschmelze löchrigen und nassen  Strasse zu halten. Rauchende Lkw´s, unzählige Bauarbeiter und eine traumhaft schöne, mondähnlichen Landschaft teilen unsere Aufmerksamkeit.

 Die nächsten Tage führen uns zurück ins Industal, zum beeindruckenden Kloster Thikse und buddhistischer Gelassenheit.

Mit dieser Gelassenheit und guter Akklimatisation, starten wir nach einem Ruhetag in Leh zum 40 km langen Anstieg auf den Kardung La, den höchsten befahrbaren Paß der Welt.

Diesmal ist unser Ziel vom Tal aus nicht  zu sehen. Sehr flach und gut fahrbar schlängelt sich die teilweise asphaltierte Gebirgstrasse die Berghänge entlang. Nach jeder Kehre scheint die Luft noch etwas dünner zu werden, aber plötzlich erreicht der Weg dann unspektakular seinen Höhepunkt und  gibt den Blick ins nahe Karakorum frei. 

 Obwohl das GPS nur 5360 m anzeigt und damit von der auf den indischen Karten angegebenen Höhe von 5602 m abweicht, sind wir doch froh endlich „ganz oben“ zu sein.

Mit einer rasanter Abfahrt über 1500 hm beenden wir voll mit Glückshormonen und innerer Zufriedenheit unsere Bikereise. 

 Vor unserem Rückflug nach Europa folgt noch ein kurzer Abstecher nach Agra, zum weltberühmten Taj Mahal. Die fünfstündige Fahrt von Dehli zu diesem UNESCO Weltkulturerbe im feuchtheißen Monsunklima erinnert mich wieder mehr an heimische Saunatage als an die höchsten Pässe der Welt!

Abstecher zum Taj Mahal


Fotografieren bedeutet den Kopf, das Auge und das Herz auf dieselbe Visierlinie zu bringen. Es ist eine Art zu leben. (Henri Cartier-Bresson)